Den Beginn der Coronakrise verbindet Antje von Dewitz mit dem gleichen Gefühl, das damals Millionen andere befiel: eine überbordende und zugleich unbestimmte Sorge. Zwar war der von ihr geleitete Outdoorausrüster Vaude bis dahin stark gewachsen. „Doch weil die Läden geschlossen waren, brach unser Absatz auf weniger als ein Viertel ein“, erinnert sich die geschäftsführende Gesellschafterin des Familienunternehmens aus Tettnang am Bodensee.
Doch bald folgte Erleichterung. Anders als im Rest der Textilbranche, wollte kein Händler Bestellungen kündigen. Also brauchte auch Vaude keine Warenaufträge zu stornieren. „Darum haben wir versucht, uns im Rahmen der langjährigen fairen und auf Nachhaltigkeit angelegten Partnerschaften nach Kräften gegenseitig zu stützen“, erinnert sich von Dewitz. Gemeinsam passte man etwa Liefertermine oder Zahlungsziele an und kam auf gleiche Weise auch den Fachhändlern entgegen.
Am Ende hatten wir Lösungen, die für alle Seiten gut waren“, so die Unternehmerin. Dieser partnerschaftliche Umgang bewährte sich. Als im Sommer die Nachfrage etwa nach Fahrradtaschen und generell nach Outdoor-Equipment überraschend schnell anstieg, konnte Vaude liefern, im Gegensatz zu anderen, die Aufträge storniert hatten. Von Dewitz ist überzeugt: Zu verdanken hat sie dies auch ihrer nachhaltigen Unternehmensführung. Lieferanten nicht auszupressen, mag zwar ein wenig Marge kosten, zahlt sich aber aus, genauso wie eine an Umweltkriterien orientierte Produktion.
Klimafreundlichkeit, hohe Sozialstandards und gerechte Unternehmensführung als Hilfe in der Krise: Diese ESG (Environmental, Social, Governance) genannten Kriterien galten lange zwar als gut fürs Gewissen, aber schlecht fürs Geschäft. Doch seit Corona hat sich dies gewandelt. „Nachhaltige Geschäftsmodelle sind resilienter“, beschreibt Henning Rodekohr, Inhaber des Getränkeanbieters Vilsa-Brunnen aus Bruchhausen bei Bremen, seine Erfahrung aus der Pandemie, den Folgen des Ukrainekriegs und der aktuellen Rezession.
Eine nachhaltige Unternehmensführung helfe gerade Mittelständlern im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen, sagt Barbara Siegert von der Beratung Munich Strategy. „Unternehmen, die frühzeitig in nachhaltige Energieformen investiert haben, profitieren in Zeiten steigender Energiekosten“, so die Spezialistin. „Nun hat sich gezeigt, dass nachhaltige Mittelständler oft auch ihre Wirtschaftskraft steigern konnten, sich im Markt besser positionieren und trotz des allgemeinen Fachkräftemangels leichter neue Mitarbeiter finden.“
Siegert sollte es wissen. Denn sie und ihr Team bei Munich Strategy haben im Auftrag der WirtschaftsWoche 4000 deutsche Mittelständer untersucht und die 50 nachhaltigsten ermittelt. Unter den Preisträgern sind neben Textilunternehmen wie Vaude oder Getränkeherstellern wie Vilsa auch Technologieanbieter, Bäckereien, Baufirmen und ein Internetkonzern (siehe Tabelle).
Methodik
Die Beratung Munich Strategy hat im Auftrag der WirtschaftsWoche untersucht, welche Unternehmen im deutschen Mittelstand in den Bereichen Ökologie, Soziales und gerechte Unternehmensführung (ESG) Vorreiter sind. Dazu haben die Spezialisten in einem mehrstufigen Analyseprozess die Initiativen von rund 4000 Mittelständlern analysiert. Ein eigens entwickelter „SustainabilityScore“ bewertet das Engagement anhand von drei Kriteriengruppen: ESG-Wahrnehmung, ESG-Dokumentation und ESG-Umsetzung.
Wie bei Vaude ist Nachhaltigkeit bei allen fester Teil der Unternehmensstrategie. Nachdem sie seit vielen Jahren aus voller Überzeugung in das Thema investierten, nehmen sie eine Vorreiterrolle ein und genießen nun mehr denn je die Wettbewerbsvorteile. Denn an Veränderungen führt kein Weg vorbei: Nicht mehr nur Konsumenten und Politiker drängen auf Nachhaltigkeit, sondern längst auch Investoren und Mitarbeiter.
Bewerbermagnet Nachhaltigkeit
Trotzdem versteht von Dewitz, dass sich viele mit der Umstellung schwertun. „Es kostet Zeit sowie Geld und sorgt vor allem anfangs für viele Diskussionen, wenn nicht gar Konflikte im Unternehmen“, so die Unternehmerin. Diese Konflikte hören nie ganz auf, berichtet auch Pascal Schwarz vom Sensortechnikhersteller Elobau. Zuletzt sei „bei vielen Unternehmen das Bewusstsein ein bisschen weggegangen, da andere Themen wichtiger waren“, sagt Schwarz. Dafür sorgten neben wirtschaftlichen Herausforderungen vor allem Lieferkettenprobleme. „Als viele Komponenten schwer zu kriegen waren, standen viele vor der Frage: Kaufe ich jetzt auch weniger nachhaltige Vorprodukte – oder warte ich auf ESG-konforme Bauteile und verzichte auf Aufträge?“
Aber Schwarz registrierte früh, dass sich Nachhaltigkeit wirtschaftlich auszuzahlen begann. „Wir merken bei fast allen Bewerbern, dass sie zu uns kommen, weil wir auf Nachhaltigkeit setzen“, so Schwarz, „dabei gibt es im Umkreis viele Firmen, wo die Gehälter wegen der Bindung an den Tarifvertrag der IG Metall wahrscheinlich höher sind.“ Eine Erfahrung, die laut Beraterin Siegert alle nachhaltigen Unternehmen machen. „Viele Vorreiter berichten, dass sich ihre Beschäftigten in der Krise stärker mit dem Unternehmen identifizierten.“
Für Vaude-Chefin von Dewitz sind das aber nur Nebeneffekte der Nachhaltigkeit, der sie sich aus viel grundsätzlicheren Überlegungen verpflichtet sieht: Wer ESG-Kriterien ignoriere, sei zwar erst mal profitabler. „Doch das liegt dann nicht unbedingt daran, dass das Unternehmen besser wirtschaftet, sondern dass es die ökologischen oder sozialen Kosten seiner Arbeit zum Teil auf andere abwälzt in Form von Ausbeutung und Umweltverschmutzung“, so die promovierte Ökonomin. „Das führt zu einer dramatischen Zuspitzung unserer globalen Probleme.“
Lesen Sie auch: „Gefragt sind Anlagen, die wenig Energie und Platz brauchen – das können deutsche Unternehmen sehr gut“