Nach der Pleite von Krypto-Guru Bankman-Fried: Die Anhänger des «effektiven Altruismus» sind schockiert

Massig Geld verdienen, um so viel Gutes zu tun wie möglich: So beschrieb der 30-Jährige seine Motivation. Mittlerweile haben sich seine Milliarden jedoch in Luft aufgelöst, ist sogar von Betrug die Rede. Die Bewegung des «effektiven Altruismus», mit der er sich geschmückt hatte, ist deshalb schwer angeschlagen.

Christoph Eisenring
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Sam Bankman-Fried, Gründer der insolventen Krypto-Börse FTX. Der 30-Jährige hatte sich als Sponsor mit der Bewegung des «effektiven Altruismus» geschmückt.

Sam Bankman-Fried, Gründer der insolventen Krypto-Börse FTX. Der 30-Jährige hatte sich als Sponsor mit der Bewegung des «effektiven Altruismus» geschmückt.

Lam Yik / Bloomberg

Im Jahr 2012 hielt der junge Oxford-Philosoph William MacAskill einen Vortrag am Massachusetts Institute of Technology. Anschliessend traf er sich zum Lunch mit dem Physikstudenten Sam Bankman-Fried. Dieser war gerade zum Veganer geworden und trug sich mit dem Gedanken, bei einer Tierschutzorganisation mitzuhelfen. MacAskill riet ihm dagegen, er solle doch nach einem möglichst gutbezahlten Job Ausschau halten. Damit könne er viel mehr Gutes tun als nur mit Ehrenarbeit.

Bankman-Fried war sofort Feuer und Flamme für MacAskills Bewegung des «effektiven Altruismus». Und zumindest bis vor einer Woche schien die Rechnung voll aufzugehen. Er wurde Krypto-Unternehmer mit einem geschätzten Vermögen von rund 15 Milliarden Dollar und hatte grosse Spendenprojekte. Doch nun ist seine Firma, die Krypto-Börse FTX, in Konkurs gegangen, sogar von möglichem Betrug ist die Rede. Und die Milliarden sind weg.

Doch was fand Bankman-Fried so attraktiv am «effektiven Altruismus»? Und was bedeutet die Pleite für die Bewegung? Ihre Anhänger haben es sich zum Ziel gesetzt, möglichst viel Geld zu verdienen und dieses dann zum grossen Teil zu spenden – und zwar an Wohltätigkeitsorganisationen, die die Mittel so einsetzen, dass sie das Glück möglichst vieler Menschen vermehren. Die Philosophie dahinter, zu der sich MacAskill und Bankman-Fried bekennen, heisst Utilitarismus.

Emotionen stören beim Spenden

Die utilitaristischen Wohltäter maximieren also den «Erwartungswert» ihrer Spende, wie Bankman-Fried in einem Video erklärt. Es geht dabei um durchaus strittige Abwägungen. Soll man zum Beispiel Geld geben, um einen Blindenhund zu trainieren, was in einem Industrieland Tausende Franken kostet? Oder soll man mit dem Geld in Entwicklungsländern mehrere hundert Patienten von grünem Star heilen? Für die strengen Utilitaristen ist klar, dass man das Geld für die Bekämpfung der Augenkrankheit einsetzen sollte.

Die Anhänger des «effektiven Altruismus» wollen sich beim Spenden also nicht von Gefühlen und Emotionen leiten lassen. Vielmehr sind sie überzeugt, dass sich die Alternativen wissenschaftlich nach der grössten Wirkung ordnen lassen. MacAskill fand mit seinen Ideen denn auch besonders unter den Tech-Unternehmern des Silicon Valley Zuspruch.

Wenn man die Idee zu Ende denkt, muss das aber zwangsläufig zu extremen Schlüssen führen: Die Menschen in Industriestaaten müssten eigentlich auf den grössten Teil ihres Einkommens verzichten und dieses in die ärmsten Länder leiten. Wer kann noch guten Gewissens ein Geburtstagsfest für die eigenen Kinder ausrichten, wenn mit dem Geld anderswo auf der Welt geholfen werden kann? MacAskill weiss um diese Einwände und belässt es deshalb bei dem Aufruf, dass man 10 Prozent des Einkommens spenden solle.

Bankman-Fried spendete sogar die Hälfte seines Gehalts für Tierschutzorganisationen und Initiativen, die die Idee des «effektiven Altruismus» förderten, nachdem er 2014 bei der Wall-Street-Firma Jane Street als Händler angeheuert hatte. Dort lernte er dank statistischen Methoden, wie man kleine Preisunterschiede von Vermögenswerten gewinnbringend ausnutzt.

Weitere drei Jahre später machte er sich selbständig und gründete Alameda Research. Hier machte er sich zunutze, dass in Japan die Preise für die Kryptowährung Bitcoin etwas höher waren als in den USA. Schliesslich baute er ab 2019 die Krypto-Börse FTX auf, die nun neben Alameda um Gläubigerschutz nachsuchen musste. Es besteht der Verdacht, dass Bankman-Fried und seine Führungscrew Gelder von Anlegern von der FTX zu Alameda abgezweigt haben, um dort finanzielle Löcher zu stopfen.

Gegenüber MacAskill versicherte der FTX-Chef vor den jüngsten Turbulenzen, dass er, falls sich gute Gelegenheiten finden liessen, eine Milliarde Dollar pro Jahr weggeben wolle. «SBF», wie Sam Bankman-Fried in Kurzform genannt wird, gewann den Oxford-Professor zudem als Berater für seine Spendenaktivitäten (wobei MacAskill eine Bezahlung ablehnte). Zugleich zeigen sich in den Überlegungen von Bankman-Fried auch zunehmend die Auswüchse des utilitaristischen Denkens.

Keine «Bettnetz-Phase»

In einem Gespräch mit Studierenden der Eliteuniversität Stanford skizzierte er seine Schwerpunkte als Spender. Im Moment leben auf der Erde 8 Milliarden Menschen. Wenn man aber addiert, wie viele Menschen über die nächsten 100 000 oder gar die nächste Million Jahre noch leben werden, ist das ein Vielfaches davon. Offensichtlich zählt für SBF das Leben von tausend Menschen in vielen tausend Jahren gleich viel wie dasjenige von tausend der heutigen Generation. Von daher zahlt es sich aus seiner Sicht aus, wenn man die Wahrscheinlichkeit des Überlebens unserer Spezies nur schon marginal verbessert.

Bankman-Fried wollte deshalb Geld für Pandemievorbereitungen und hier besonders die Abwehr von Bioterrorismus zur Verfügung stellen und die Gefahren der künstlichen Intelligenz erforschen lassen. Dahinter steht die Dystopie, dass künstliche Intelligenz das Potenzial habe, die gesamte Menschheit zu vernichten.

Nicht so recht zum angeblich rational kalkulierten Einsatz von Mitteln wollen allerdings die über 10 Millionen Dollar passen, die SBF für einen demokratischen Kandidaten aus Oregon in den Kongresswahlen ausgab. Dieser hatte sich zwar ganz den Prinzipien des «effektiven Altruismus» verschrieben, scheiterte aber schon in der Vorwahl. Die 10 Millionen sind also verpufft, statt irgendwo auf der Welt Gutes zu bewirken.

Die Bewegung des «effektiven Altruismus» gewann mit realen Experimenten der Ökonomie-Nobelpreisträger Esther Duflo und Abhijit Banerjee zunächst zu Recht an Bedeutung. So fanden die Forscher etwa heraus, dass das Verteilen von Entwurmungsmitteln über die Schulen den Unterrichtsbesuch durch die Kinder stark erhöhte. Auch das Verteilen von Bettnetzen gegen Moskitos hat ein gutes Nutzen-Kosten-Verhältnis. Doch dem «New Yorker» vertraute Bankman-Fried an, er habe nie eine «Bettnetz-Phase» gehabt. Zudem seien Gesundheits- und Umweltthemen sehr stark emotional besetzt. Seine Spenden sollten vor allem für die sehr langfristigen Projekte verwendet werden. Bisher soll er 50 bis 100 Millionen Dollar gespendet haben.

Maximierung ohne Integrität ist gefährlich

Mit der Pleite ihres grössten Gönners hat die Bewegung des «effektiven Altruismus» nun ein mächtiges Imageproblem. Man gibt sich zerknirscht. Ja, man wolle die Welt besser machen, sagt MacAskill in einem Twitter-Thread, und ja, man sei dabei ambitioniert. Aber das rechtfertige niemals Betrug. Es müsse klar sein, dass sich die Aktivisten des «effektiven Altruismus» nicht ausserhalb der üblichen ethischen Normen bewegten.

Allerdings wurde Bankman-Fried in der Bewegung auch lange vorbehaltlos gefeiert. Er sei durch den «effektiven Altruismus» motiviert, so viel Geld zu verdienen wie möglich, um all dies wieder wegzugeben, liest man in einer Lobeshymne, die vor einem Jahr im EA-Forum publiziert wurde, das von dem Krypto-Unternehmer unterstützt wird. Diese starke Motivation mache ihn auch risikofreudiger als andere Entrepreneure. Am Wochenende erklärte der Autor des überschwänglichen Posts, er stehe nicht mehr dazu.

Fast schon prophetisch mutet zudem ein Forumsbeitrag von diesem September an, als man von der Pleite noch nichts ahnte: «Beim ‹effektiven Altruismus› geht es um Maximierung – und Maximierung ist gefährlich.» Der «Techno-Fakir» («New Yorker») SBF hat sich jedenfalls mit der Verbundenheit zum «effektiven Altruismus» geschmückt und ist dadurch gerade bei der jungen Generation zu einem Idol geworden.

Er schäme sich, falls die Assoziation mit seinen Ideen dem Betrug Vorschub geleistet habe, sagt MacAskill. Die immer stärkere Orientierung an der extrem langen Frist mit ihren spekulativen Szenarien wäre aber auch ohne den Skandal Anlass genug gewesen, die Ausrichtung seiner Bewegung zu hinterfragen. Bei SBF trug sie schon fast sektiererische Züge. Ein reinigendes Gewitter ist die Pleite von FTX jedenfalls nicht nur für die Krypto-Branche, sondern auch für den «effektiven Altruismus».

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